Mittwoch, 2. Juli 2008

Eine Odysee in zwei Teilen

Teil 1


So gehen die Türken. Die Türken, die gehen so...“



Was für ein Fest. Was für ein Spektakel...

Jens und ich waren vergangenen Mittwoch zum Deutschland-Spiel gegen die Türkei in der Kölnarena. Die ganze Sache war eine ziemlich spontane Aktion und wie das mit spontanen Aktionen so ist, sie werden meist richtig geil. So auch der Mittwoch...

Lasst mich davon berichten...

Den Vorabend habe ich noch mit grillen, Bier und Wein bei Winnie und Anne-Wil in De Glind verbracht und mir mal Schatijland zeigen lassen... Ich hab den Abend sehr genossen und finde es extrem schade, dass die beiden jetzt schon weg müssen...

Naja, was will man machen?

Kurz entschlossen nächtigte ich bei den beiden, weil ich irgendwie keine Lust hatte um ganz spät Uhr noch nach Hause zu fahren...

Am nächsten Morgen wachte ich schon mit so einem kribbeligen Gefühl im Bauch auf... Irgendwas war anders heute... Und da viel es mir wieder ein. Heute ist der Tag der Tage... Das Deutschland-Halbfinale! Ich frühstückte noch mit meinen zwei Mädels und legte mir einen Zeitplan zurecht... Ich wollte gegen 12.30 Uhr in Arnhem sein um mich mit Jens zu treffen. Davor musste ich noch in Barneveld vorbei, Flaggen einpacken und duschen. Wenn alles gut lief, sollten wir pünktlich zum Einlass um 16.30 das Kölner Ortschild passieren. Gut gelaunt verschmauste ich mein Frühstück und wünschte den Damen viel Spaß beim arbeiten... Ich hatte irgendwie das Gefühl was Gutes tun zu müssen. Vielleicht um die Götter zu besenftigen für das Spiel heut abend, wer weiß. Jedenfalls began ich einfach mal den Saustall aufzuräumen, den wir drei nach durchzechter Nacht hinterlassen haben. Mann, sah das da aus... Überall Gammel und Schmutz, Essensreste und leere Flaschen. Fast eine Stunde hab ich in dem menschenleeren Haus in der Küche gestanden und gespült. Aber es hat Spaß gemacht und ich bin sicher, sie haben sich gefreut. Gut gelaunt und voller Vorfreude machte ich mich bei prächtigem Wetter mit dem Fahrrad zurück nach Barneveld um den ersten Teil meines Planes zu erfüllen. Flaggen einpacken und duschen. Gesagt, getan. Danach ging es zum Bahnhof und ab nach Arnhem. Jens hatte noch nicht gefrühstückt und so kam ich zu meiner zweiten morgentlichen Mahlzeit. Aber ich hatte ja auch schon hart gearbeitet in De Glind. Wir aßen und beratschlagten, was nun zutun sei. Erst ging es in die Stadt um uns für alle Fälle vorzubereiten. Wir kauften eine Palette (!) Energydrinks, Würste, Brot, Bier und, falls es länger werden würde, drei Flaschen Drinkfrühstück und Eistee. Das sollte reichen. Wir befestigten allerlei Flaggen an unserem Auto und preschten los in Richtung deutsche Grenze. Mann, war das schön wieder in meinem gelobten Land zu sein...

Köln nahte und das Fahnenmeer wurde dichter. Wir kamen ohne weitere Komplikationen zur Kölnarena, konnten kostenlos parken und mussten nicht lange anstehen. Alles tschakka also. Drinnen war die Hölle los. Das Stadionähnliche Gebäude fasst etwas mehr als 30.000 Menschen. Davon waren etwa 120 Türken anwesend. Alles also fest in deutscher Hand! Es gab ein Rahmenprogramm um die Masse bei Laune zu halten. Schließlich mussten wir noch vier Stunden warten... Es kamen Kölner Bands (leider keine WiseGuys...) und machten Stimmung nach Art des Hauses. Unter anderem gab es eine Talkshow und allerlei Bundesligaspieler vergangener Generationen waren als Talkgäste geladen. Die Menge feierte und feierte, dabei hatte es doch noch garnicht angefangen. Die vier Stunden erschienen endlos, wenn man so darüber nachdachte. Aber genügend Kölsch und ne jute Stimmung ließ die Zeit verfliegen.

Doch dann ging es plötzlich los... Die Nationalhymne...

Uh...

Ich krieg jetzt noch Gänsehaut, wenn ich dran denke. Ich meine, selbst im Stadion waren nicht so viele Deutschandfans wie in der Kölnarena zu diesem Zeitpunkt... Ultra!

Anpfiff. Alles hüpfte und tanzte. Man freute sich auf ein Fußballfest wie gegen Portugal, doch alles kam anders...


0:1 für die Türkei.


Totenstille.


Was war geschehen? Wie konnte das passieren? Und wer sang da so vergnügt? Die Blicke von 30.000 Menschen wanderten nach linksoben, wo das türkische Fanblöckchen saß. Da waren sie am jubeln... Wie sie sich gefreut haben!


Exakt 4min lang.


Schweini machts! 1-1!

Yeah! Deutschland schlägt zurück! Lautes Geschrei! Überall Fahnen...


Dann stieg die Spannung. Was unser DFB-Team zeigte war nicht wirklich das, was wir gerne hätten sehen wollen. Unruhe machte sich breit. Sollte man denn jetzt nicht langsam mehr Entschlossenheit erkennen? Mehr Struktur, mehr Zug nach vorne? Es sollte dauern, bis wir uns alle sicher im Finale glaubten. 79Min warten auf Klose. Der erlöste uns dann scheinbar mit seinem 2-1. Die Chöre wurden lauter und die Stimmung stieg. Aber irgendwie vertrauten Jens und ich dem trügerischen Vorsprung nicht. Immerhin war das die Türkei und die ist immer für eine Überraschung gut. Und, wie ihr sicher alle wisst, sollten wir recht behalten. Die Stimmung war zwar noch zuversichtlich, aber angeschlagen. Die Menschen gingen los um sich mit neuem bier zu vesorgen für die Nachspielzeit. Aber dieses Bier hatten sie nicht mehr nötig, dank unserem geliebten Herrn Lahm. Anstatt das soeben erworbene Kölsch jedoch zu trinken, schmiss man es bei dem erlösenden TOR kollektiv in die Luft, sodass es die Feiernden in den vorderen Rängen abbekamen. Doch das störte jetzt alles genauso wenig, wie die durchwachsene Leistung unserer Elf während des Spieles. Wir waren im Finaaaale! Was konnte es größeres geben?

Die Massen schrieen und tanzten und es ließ sich erahnen dass der Abpfiff erst der Anpfiff für die Riesenparty sein sollte, die nun folgte.

Und die war allgegenwärtig auf den straßen Kölns. Die Menschenmassen in schwarz-rot-gold strömten die Arena raus und ein Teil,so auch wir, bauten sich auf einer großen Straße auf um alle Autos zu zwingen durch die von uns gebildete Gasse zu fahren, aufdass wir sie schütteln und bejubeln können. Das war ein Spaß. Sogar die Polizei fand es (anfangs) lustig und griff zunächst nicht ein. Als es dann allerdings ein bisschen arg wurde und die Autos gefährlich wankten, war der Spaß dann schnell vorbei. Besonders hervorheben möchte ich die creativen Sprechchöre, die in dieser Nacht in Köln zu hören waren.

So geschah zum Beispiel folgendes:

Eine Gruppe von knapp 200 Männern und Frauen standen auf besagter Straße und freuten sich, als plötzlich ein Auto mit roter Halbmondfahne auf uns zusteuerte...

Das Auto wurde angehalten und die anwesenden Beamten wurden aufmerksam und gingen schon in hab-acht Stellung. Diese Situation hatte Eskalationspotential.

Wir versperrten den Weg.

Das Auto wurde langsamer.

Es blieb stehen. Drinnen saß ein Türke von vielleicht Mitte dreißig mit seiner Freundin.

Es bildete sich ein Menschenkreis um das türkische Fahrzeug. Ein Fahnenmeer der Deutschen...

Jens und ich mitten drin. Was sollte jetzt passieren?

Ein deutscher Jemand übernahm die Initiative. Er machte eine Handbewegung, die uns eindeutig zum sitzen, oder besser zum Hocken aufforderte. Die Menge „gehorchte“. Ruhig und leise hockte man sich, blieb aber auf den Füßen.

Plötzlich durchdrung die Stimme des besagten Jemands die Stille. Er rief: „So gehen die Türken, die Türken gehen so...! So gehen die Türken, Ja, die Türken gehen so...!“ Dabei machte er eine Hock-Laufbewegung, die an einen Ententanz erinnerte... Wir machten mit. Nun watschelten also knapp 200 Enten in Schwarz Rot Gold um das mit türkischen Flaggen geschmückte Auto. Sogar den nervösen Beamten zwungen wir so ein Lächeln ab...

Plötzlich sprang jemand auf, riss die Arme in die Höhe, machte die Gesten eines Torjubels und schrie dabei... „Und so gehn die Deutschen, die Deutschen gehen so....! Ja, so gehen die Deutschen, die Deutschen die gehen so...!“

Alles sprang auf, immitierte den Torjubel und freuten sich ein Loch in den Bauch...

War das herrlich. Auch der Türke im Auto nahms mit Humor. Ganz so lusitg, wie wir, fand ers zwar nicht, aber er hatte ja auch verloren ;) Nach 2-3 Minuten des jubelns, ermöglichte die Polizei unter einem freundschaftlichen Wink dem Auto die Weiterfahrt...

Sehr coole Aktion in meinen Augen...

So ging es den Abend weiter...

Um drei beschlossen Jens und Kai dann langsam mal die Heimreise nach Holland anzutreten, schließlich musste ich in ein paar Stunden arbeiten...

Jetzt hatten wir nur leider nicht den blassesten Schimmer, wie wir die richtige Autobahn finden sollten, die uns (auf dem schnellsten Wege) wieder nach Hause bringen würde?

Einfach mal losfahren, Jens macht das schon. So war der Plan. Ja... Wir haben dann auch ne Autobahn gefunden, nur ging die leider in Richtung Aachen. Also nach Süden. Wir wollten aber gerne nach Nordwesten. Ärgerlich. Wenn wir die weiterfahren würden, müssten wir über Maastricht und Eindhoven nach Arnhem. Das wäre etwa wie über wie als reiste man über Oslo nach Warschau.

Durch mutiges, doch zielloses, auf den verschiedenen Autobahnen Abbiegen und Ausfahrten nehmen, kamen wir dann auf eine Autobahn in Richtung Venlo. Auch Suboptimal, aber besser... Um 5.00 Uhr lagen wir dann in Barneveld im Bett...

Was ein Tag.

Und am Sonntag sollte es gleich weiter gehen...




Teil 2



„Eine Straße, viele Bäume...“


Sonntag.

Der Kai und der Jens wachen morgens in Den Haag auf... Es ist 12.00Uhr und wir hätten schon seit zwei Stunden wach sein wollen. Hat nicht geklappt. Ärgerlich.

Heute sollte er sein. Der große Tag. Finale. Und wir wollten wieder nach Köln. Das war einfach zu geil das letzte Mal, alsdass wir uns dieses Spektakel hätten entgehen lassen.

Aber noch waren wir in Den Haag. Und deutliche 2 Stunden hinter unserem Zeitplan.

Warum waren wir eigentlich da? Ich will das kurz erwähnen.

Ein großer Teil der Freiwilligengruppe trat an diesem Wochenende die entgültige Heimreise an. Für sie ist der Auslandsaufenthalt beendet. Wir deutschen Jungs leisten hier ja quasi unseren Ersatzdienst ab, weil wir nicht zur Bundeswehr gegangen sind und darum müssen/dürfen wir noch 6 Wochen länger bleiben... Zum Abschied haben wir uns letztes Wochenende alle, oder zumindest alle coolen ;) in Den Haag getroffen um nochmal das vergangene Jahr zu feiern...

So auch der Jens und der Kai.

Es hieß sich schnell fertig zu machen, sich das letzte Mal zu verabschieden und in den Zug Richtung Arnhem zu springen. Gesagt, getan. Um kurz vor 14.00 erreichten wir Arnhem, wo wir uns noch ein paar Brote schmierten, und die Flaggen und die Energydrinks ins Auto packten. Diesmal hatte ich sogar eine Routenbeschreibung für die Rückfahrt ausgedruckt, damit uns nicht wieder nächtliche Irrfahrten bevorstanden.

Wir preschten nach Köln...

Um halb sechs waren wir da. Viel zu spät.... Die Arena selbst hatten sie gerade als voll erklärt und ließen nun niemanden mehr rein. Aber das war nicht so schlimm, wie es klingt, weil es etwa 200.000 Menschen so ging wie uns. Die stömten dann auf die Grasfläche vor der Arena um auf einem Megabildschirm das Spiel zu verfolgen und eben draußen Fußball zu feiern. Die Stimmung war mäßig, weil sich einige Vollpfosten (etwa viele hundert) auf den Boden setzten, anstatt, wie jeder normale Mensch, zu stehen. Das nahm natürlich unglaublich viel Platz in Anspruch und machte für den Rest, das Druchlaufen extrem schwer. Spasten... Die Herrn auf der Bühne lösten dann irgendwann sehr elegant das auch von ihnen erkannte Problem, indem sie das Lied: „Steht auf, wenn ihr für Deutschland seid“ anstimmten“... Da mussten sie dann... ;)

Wir ergatterten nach einigem Kampf dann trotz Sitzblokaden noch recht gute Plätze, ziemlich in der Mitte der Menge mit freiem Blick auf die Leinwand. Links neben uns befand sich eine riesige Häuserwand. Das Verwaltungsgebäude der Arena. Und fast über die gesamte Fläche des Gebäudes war eine unglaublich mächtige Deutschlandfahne gespannt. Frei Schnautze will ich mal auf 700-800m² tippen. Wirklich fett! Kurz vor Anpfiff geschah es dann... Das böse Omen...

Die Riesenflagge löste sich an einer Seite und fiel....


Was wollte uns Gott damit sagen?


In der Menge bildeten sich Sprechchöre zur Melodie von „Reißt die Hütte ab!“ aber dann „Hängt die Flagge auf!“ (Ganz, ganz schnell...)

Dann begonn das Spiel... Die Nationalhymne. Ähnlich pornorös, wie am Mittwoch...

Die Flaggenproblematik war vergessen. Deutschland zeigte sich entschlossen und die ersten zehn Minuten schien es keinen Zweifel daran zu geben, wer den Pott mit nach Hause nehmen würde heute Abend... Doch dann kam alles ganz anders, wie ihr ja sicher alle wisst. Ich will aus Herzensgründen nicht weiter auf die Niederlage eingehen, sondern stattdessen positiv hervorheben, dass man sich die Laune in Köln nicht hat verderben lassen...

Man feierte den verdienten Vize-Titel!

Wir haben an dem Abend noch zwei Mädels kennengelernt, die uns einen Tipp gaben, wo man in Köln am Besten nach dem Spiel noch feiern könnte. Der Plan war, sich dann dort zu treffen. Es ging, nach kurzem nahrungsaufnahmebedingten Abstecher zum Auto auf in Richtung Zülpicher Platz. Und da ging die Post ab! Ich holte mir noch was leckeres kölsches zu trinken und wir genossen den Abschied einer aus unserer Sicht sehr gelungenen Europameisterschaft. Es waren Fans aus allen Ländern anwesend und man sang und tanzte fröhlich miteinender. Nur die Spanier standen etwas abseits um sich zu betrinken. Die hatten ja gewonnen und deshalb mussten meine empfindlichen Ohren überall und andauernd „Alè, Alé Viva Espania!“ hören. Es war allgegenwärtig und traf uns Deutsche dann doch irgendwo. Ja, sie waren die bessere Mannschaft, aber trotzdem...

Es galt also etwas entgegenzusetzten. Wer hatte den zündenden Gedanken? Was könnte man singen, was die dämlichen Spanier von ihrer dämlichen Alè runter holt?

Auf dem Weg mit der Straßenbahn zurück zur Kölnarena, wo unser Auto stand, geschah es dann. 20 Spanier und der Rest Deutsche in einem Zug. Spanier am singen und tanzen. „Alé,Alé...“ bla bla.. Deutsche gucken genervt...

Eine kleine Gruppe von Deutschen übernahm die Sprechchorleitung und stimmte ein Liedchen an um unseren südeuropäischen Freunden zu erklären, was sie da eigentlich die ganze Zeit singen...

Das ganze lief auf die Melodie von Olé, Olé Super Deutschland! Olè, Olè!:


„Alé, Alee (2x) Eine Straße, viele Bäume, ja das ist eine Alee...“

gefolgt von einem dreifachen, donnernden: Deutschland, Deutschland!


Das sollte erstmal für Ruhe sorgen...

Doch keineswegs. Die tapferen Spanier gröhlten weiter. Noch lauter. Daraufhin ertönte aus unserer Ecke wieder das Deutschland, Deutschland, wobei die Spanier es wagten, zwischen den einzelnen Deutschland-Rufen von uns ein lautes „Zweiter!“ einzufügen...

Die Säcke...


So ging das dann bis wir aussteigen mussten. Der Ganze Zug wackelte von außen und mal gganz ehrlich... Ich wäre, hätte ich an der Haltestelle gestanden da nicht freiwillig eingestiegen... Sah schon recht aggressiv aus, war es aber überhauptnicht.


Das war das schöne.


Mit der Rückfahrt klappte es diesmal um Längen besser... Diesmal schliefen wir in Arnhem, doch wesentlich länger war die Nacht auch nicht. Dafür hatte ich am nächsten Tag frei. Auch was wert.


Ihr seht also, in Sachen Fußball hat der Kai seinen Spaß gehabt.


Ihr auch?


Freue mich von euch zu hören, also schreibt mir was nettes,


Bis zur Weltmeisterschaft!


Kai