Montag, 10. März 2008

Zwischenbericht

Ich als Freiwilliger schreibe pünktlich zur Hälfte meines Dienstes einen Zwischenbericht an meine Organisation in Deutschland. Ich glaube er gibt einen ganz guten Überblick über meine Arbeit und mein aktuelles Leben hier. Darum will ich online stellen, was ich zwischen zu berichten habe. Viel Spaß beim Lesen!

Zwischenbericht von Kai Ritter - DJiA in Holland 2007/2008


Hallo!

Ich will mich zu Beginn meines Zwischenberichts erst einmal vorstellen. Mein Name ist Kai Ritter. Ich bin (noch) 19 Jahre alt und lebe dank Ihnen nun knapp ein halbes Jahr in den Niederlanden. Ich habe mich damals für Holland entschieden, weil ich über das „nördliche“ Europa nur sehr wenig wusste, doch viel Gutes gehört habe. Die Holländer seien fortschrittlich, weltoffen und in vielen Dingen irgendwie „lockerer“ als „die Deutschen“. Das reizte mich. Nun mache ich seit beinah sechs Monaten jeden Tag eigene Erfahrungen in diesem Land und von denen möchte ich nun gerne berichten.


Mein Projekt heißt „De Bondgenoot“ und befindet sich in Barneveld einer Kleinstadt ziemlich genau in der Mitte Hollands. Es ist für mich bis zum heutigen Tage sehr schwer zu erklären, was das genau für ein Projekt ist und was dort meine Aufgabe darstellt. Doch ich will es versuchen: „De Bondgenoot“ ist eine „Leefgemeinschap“ (dt.Lebensgemeinschaft). Man kann es sich wie eine Art WG vorstellen, nur dass die Menschen nicht zusammen in einem Haus wohnen, sondern jeder in seinem Haus in direkter Nachbarschaft. Der Gebäudekomplex besteht aus zwei Reihenhausreihen, die sich in rechtem Winkel treffen und einen kleinen, parkähnlichen Hof einschließen. In der Mitte dieses Hofes steht das Gemeinschaftshaus, genannt „Grote Huis“. Dort essen alle Bewohner jeden Tag zusammen „onbijt“ (Frühstück) und „lunch“ (Mittag). Außerdem gibt es drei Mal am Tag Kaffee und Tee für jene, die Zeit und Freude daran haben gemütlich beisammen zu sitzen und zu plaudern. Das Besondere an dem Leben hier ist die Intensität des sozialen Zusammenhalts. Die Menschen hier leben christliche Werte, indem sie für einander da sind. Das klingt sehr simpel und für den ein oder anderen vielleicht selbstverständlich, das ist es aber nicht. Die Freundschaft, die die knapp 50 Menschen hier verbindet, geht weit über gewöhnliche Nachbarschaftsbeziehungen hinaus. Es geht den Menschen hier darum einander zuzuhören und zu helfen. Ich vergleiche die soziale Situation hier gerne mit einer Familie. Man macht alles zusammen. Essen, kochen, arbeiten und sogar in den Urlaub fahren.


Durch diese Art von Leben entsteht eine soziale Wärme basierend auf Toleranz, Freundschaft und Akzeptanz, die das Wesentliche hier ausmacht.


Die Menschen hier nehmen in ihre Lebensgemeinschaft Leute auf, die aus sozial schwierigen Verhältnissen kommen und laden sie ein, mit ihnen zu leben. Die Probleme dieser Leute sind sehr unterschiedlich und zum größten Teil kenne ich sie auch nicht genau. Aber das muss ich auch nicht. Wenn sich jemand entschließt „op de Bondgenoot“ zu leben, mietet er ein kleines Apartment und wird in den Alltag und das Zusammenleben integriert. Diese Leute profitieren von der zwischenmenschlichen Wärme, die hier täglich zum Ausdruck kommt. Das ist ein sehr einfaches Prinzip, doch es funktioniert. Ich war selber überrascht, wie simpel die Wahrheiten sind, die hier gelebt werden und wie groß ihr Effekt sein kann. Ich selber habe meine Integration hier so erfahren:

In den ersten Tagen nach meiner Ankunft war ich mir nicht ganz klar darüber, was denn nun meine Aufgabe hier sein wird und was die Leute hier denn eigentlich alle machen, außer Nachbarn zu sein.
Ich lebte hier mit Tomi, einem ungarischen Freiwilligen, zusammen. Wir hätten unterschiedlicher nicht sein können. Er ist halb Roma und eher konservativ in seinen Ansichten, zum Beispiel über die soziale Rollenverteilung von Mann und Frau. Wir konnten in den ersten Wochen nicht kommunizieren, weil er weder Deutsch noch Englisch sprach und ich leider auch kein Ungarisch. So waren wir anfangs gezwungen, uns zu tolerieren und so schnell wie möglich Niederländisch zu lernen, wir wohnten schließlich Tür an Tür. Doch nach dem ersten Seminar und dem ersten zweitägigen Sprachkurs kam es, dass wir erste Worte wechselten. Wir näherten uns langsam an und begannen einander zu verstehen und mehr miteinander zu unternehmen. Auch hier im Projekt, wo wir beide wohnten, mussten wir anfangs alles zusammen machen. Eine Aufgabe bestand zum Beispiel darin „Gastherr“ zu sein. Das heißt, man sorgt dafür, dass das Gemeinschaftshaus sauber und ordentlich ist, macht zu den jeweiligen Tageszeiten Kaffee und Tee und deckt die Tische für das Mittagessen. Diese Tätigkeit schließt auch unangenehme Dinge wie „Toiletten putzen“ mit ein. Das war für uns beide eine neue Erfahrung, die es zu meistern galt. Wir wurden anfangs bewusst oft als Gastherren eingeteilt, weil man zwangsläufig bei den Kaffeezeiten mit den Menschen hier in Kontakt kommt und mit ihnen spricht. Die Menschen hier waren sehr offen und fragten uns „Löcher in den Bauch“, und so kam es, dass wir die niederländische Sprache ziemlich schnell lernten. Das wiederum wirkte sich sehr positiv auf unsere Freundschaft aus. Ich kann mit ruhigem Gewissen sagen, dass ich Tomi inzwischen als meinen Freund, machmal sogar als Brüderchen sehe.
Wir machten so ziemlich alles zusammen und wenn er ein paar Tage nicht da war, fing ich schon an, ihn zu vermissen.


Seit Mitte Februar, hat sich das Projekt jedoch sehr spontan entschlossen, sich von Tomi zu trennen und so hat unsere Freundschaft momentan sehr zu leiden. Jedoch nicht nur unsere Beziehung leidet darunter, sondern insbesondere er. Es gab wohl nach Ansicht des Projektes Integrationsprobleme mit Tomi, die aus deren Sicht eine weitere Zusammenarbeit unmöglich machten. Ich möchte an dieser Stelle nicht näher auf die Gründe von Tomis Rausschmiss eingehen, jedoch deutlich erwähnen, dass auch ich, durch diese Geschehnisse angeregt, begann, über viele Dinge hier neu nachzudenken und zu neuen Schlüssen zu kommen.


Das soziale Leben, das ich lange als sehr warm und herzlich empfunden habe, bringt immer mehr Probleme mit sich. So wurde mir in den letzten Wochen klar, dass der soziale Zusammenhalt, der vielen Menschen hier Kraft gibt, auch einen, für mich persönlich, hohen Preis fordert. Es entsteht eine subtile, doch ständige Art der sozialen Kontrolle, mit der ich mehr und mehr Probleme bekomme. Ich muss für mich entscheiden, in wie weit ich diese Kontrolle über mich und mein

Privatleben akzeptieren kann und will.



Seit Anfang diesen Jahres habe ich mein Aufgabenfeld etwas erweitert und arbeite nun auf eigenen Wunsch bei „Bondgenoot Partner“ mit. Das ist ein offizieller Importeur für Dritte Welt Waren in Culemborg, einer kleinen Stadt ca. 60Km westlich von Barneveld. Die „Wereldwinkel“, sprich die 3.Welt-Shops, kaufen ihre Waren bei uns ein und das bedarf oft einer gewissen Vorbereitung. So müssen zum Beispiel die verschiedensten Motive von Postkarten abgezählt und verpackt werden. Manchmal liefern wir auch bestellte Waren an größere Kunden. Dann geht es mit dem Auto nach Amsterdam, Haarlem oder Nijmegen zu den Shops. Ich tue diese Arbeit gerne und ich bin dankbar, dass ich hier verschiedene Dinge lernen kann. Angefangen hat es mit Kaffee machen, es ging weiter mit allerlei handwerklichen Tätigkeiten, die ich im Projekt selber zusammen mit Tomi verrichtete und nun bin ich dabei, viel über die Administration eines Betriebs zu lernen.

Ein nicht so erfreuliches Ereignis war der Tod eines Mitfreiwilligen unserer Hollandgruppe. Das war für uns alle schwer zu verdauen. Ich möchte aber an dieser Stelle ein großes Lob an ICCO, der niederländischen Partnerorganisation, aussprechen. Die Leute, die hier für uns zuständig sind, haben uns meines Erachtens ausgezeichnet betreut und uns mehr als genug Möglichkeiten gegeben über unsere Probleme und Emotionen in dieser schwierigen Zeit zu sprechen. Ich hatte wirklich nicht das Gefühl, allein zu sein und auch die Freiwilligengruppe untereinander gab sich viel Halt,

was mir auch sehr geholfen hat.

Die schrecklichen Ereignisse des vergangenen Monats bringen mich gleich auf mein nächstes Thema. Ich habe schon in meiner Bewerbung für dieses diakonische Jahr geschrieben, dass es mir insbesondere auch um eine Persönlichkeitsentwicklung geht. Ich wollte und will etwas über mich lernen. Wie ich mit einer neuen, vielleicht schwierigen Situation umgehe und was ich daraus lerne. Auch dafür gab es viel Gelegenheit. Die Menschen hier im Projekt führen ein sehr intensives Leben und es wird regelmäßig über Spiritualität gesprochen. So gibt es zum Beispiel jeden Freitag Abend den sogenannten „Groten Kring“. Die Bewohner treffen sich im Gemeinschaftshaus, setzen sich in einen großen Stuhlkreis und diskutieren Themen wie Liebe, Freundschaft und die individuelle Beziehung zu Gott. Das mag für den ein oder anderen ein wenig seltsam klingen, doch ist das, wie ich erkannte, ein wesentlicher Bestandteil des Lebens hier. Immer wieder wird der spirituelle Kern des Zusammenlebens besprochen und definiert sich damit ständig neu. Dadurch dass die Menschen hier so bewusst miteinander leben und solch private Dinge miteinander teilen, lernt man die Menschen auf einem ganz anderen Niveau kennen, als das normalerweise üblich ist. Man erhält Einblicke in die verschiedensten Ansichten und Lebenssituationen und beginnt automatisch darüber (xx) nachzudenken. Und so kommt es, dass man sich auf eine innere Reise durch sich selbst begibt, ohne es anfangs wirklich zu merken.


Doch nicht alles ist so einfach und schön, wie es klingt. Wie ich bereits erwähnte, werden in diesen Gesprächsrunden sehr private Dinge geteilt. Das führt jedoch gerne auch dazu, dass von einem erwartet wird, ähnlich private Dinge zu teilen. Ich empfinde hier öfter einen mir sehr unangenehmen, unterschwelligen Druck, eine Art unausgesprochene Forderung, auch über Privates zu sprechen. Ich tue so etwas prinzipiell sehr gerne und habe damit keine Probleme, doch möchte ich selbst entscheiden, wann ich das für richtig halte und vor allem: wem gegenüber. Ich finde es schwierig, das deutlich zu machen, ohne den Menschen auf die Füße zu treten und böse Blicke zu ernten, wie es in der Vergangenheit des öfteren passierte.

Die Seminare hier im Einsatzland, von denen nun schon zwei von drei hinter mir liegen, haben mir gut gefallen. Es gab genug Zeit und Raum sich mit seiner persönlichen Zielsetzung für dieses Jahr zu beschäftigen und sich auch darüber mit den anderen Freiwilligen auszutauschen.


Ich kann nur hoffen, dass es in dem halben Jahr, das noch vor mir liegt, auch ohne Tomi, gut weiter läuft.


Ich hoffe, ich konnte einen Überblick über meine Lage hier geben und den ein oder anderen motivieren auch solch ein Jahr zu machen. Es lohnt sich, auch wenn es nicht einfach ist!


Ich grüße aus den Niederlanden,


Kai Ritter


2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Es war interessant und spannend, deinen Bericht zu lesen!
ICh wünsch dir auf jeden Fall auch viel Kraft für die "naechste Haelfte"- ohne Tomi.
Grüsse,
Christin

Kai hat gesagt…

na das ging schnell... danke!

mach dir um mich keine sorgen. das krieg ich schon hin...